Umzug

Nachdem dieser Blog jahrelang selbst gehostet wurde, hat sich gezeigt, dass die administration (neue Version einspielen, plugins und themes auf den neuesten Stand bringen …) sehr aufwändig ist – und wenn man es nicht tut ist man hacker bait. Nun ist es geschehen, ein halbes Jahr mal nicht aufgepasst, schon ist man Opfer eines Angriffs und der Blog ist down. Danke für die Hinweise, die aufmerksame und regelmäßige Leser mir geschickt haben. Die Daten konnten gerade noch gerettet werden. Also bin ich unter die schützende Decke von WordPress.org geschlüpft. Am Design und den Funktionen wird noch gearbeitet

Zugegeben: in letzter Zeit war auch nicht sehr viel los hier. Die Vernachlässigung des Blogs  (administrativ und inhaltlich) hat damit zu tun, dass ich seit zwei Jahren an einem anderen aufregenden Projekt arbeite: Adson bespricht jetzt nicht nur Bücher, Adson macht jetzt auch Bücher – im eigenen Verlag und hier ist die Website dazu: adson fecit

Über Besuche dort freue ich mich sehr.

 

Geschichten von Ferne und Sehnsucht

Seit diesem Jahr habe ich eine kleine Literaturkolumne in unserer lokalen Wochenzeitung. Jeweils in der letzten Ausgabe des Monats der Werdener Nachrichten  erscheint eine Besprechung eines oder mehrerer Titel zu einem Thema. Für diejenigen die diese Zeitung nicht beziehen aber trotzdem wissen wollen, was ich da so bespreche, gibt es die Artikel mit etwas zeitlichem Versatz nun auch hier.

BahnhöfeSpätestens seit ihrer Verlegung und/oder dem Umbau zum einem S-Bahnhaltepunkt, gehören viele Bahnhöfe zu jenen Orten, die Marc Augé in seinem lesenswerten Essay „Nicht-Orte“ nennt. Es sind Orte, in denen man nicht heimisch ist. Diese Orte haben keine individuelle Identität und haben keine gemeinsame Vergangenheit. Sie stiften keine Beziehungen. Waren Bahnhöfe einst Orte von Begrüßung und Abschied, so findet Ankunft und Abfahrt heute entweder in „Shopping-Centern mit Gleisanschluss“, wie Bahnvertreter sie selbst nennen, oder inmitten von Imbissen jeglicher Couleur statt.

Die beiden Titel von denen heute die Rede sein soll, berichten von Zeiten als Bahnhöfe mit ihren repräsentativen Empfangsgebäuden und imposanten Bahnsteighallen noch Orte dramatischer, tragischer oder komischer Ereignisse waren. Schriftsteller haben sie in ihren Texten verewigt. Mario Leis stellt in seinem Bändchen „Bahnhöfe. Geschichten von Ankunft und Abschied“ Texte aus allen Sparten der Weltliteratur zusammen. Die Texte huldigen dem Bahnhof als Wunderwerk der Architektur, als Orte des Wartens, des Aufenthaltens, des herzblutenden Abschieds, der Verzweiflung oder als ganz eigene Welt: mit Bahnhofswirtschaft, Bahnhofsbuchhandlung und Wartesälen. Sie schildern wie Menschen ihrem Zug entgegen laufen, als stürzten sie sich in ein Abenteuer. Jeder der Züge zieht sie in eine andere Ferne.
Lis Künzli versammelt in „Bahnhöfe. Ein literarischer Führer.“ Ebenfalls Texte von Schriftstellern zu Bahnhöfen. Sie interessiert, was die Schriftsteller zu besonderen Bahnhöfen zu sagen haben. Bahnhöfe sind magische Orte, das hätten Dichter gewusst, kaum, dass die Eisenbahn erfunden war. Die versammelten Autoren teilen ihre Sehnsüchte und Ängste mit, die sie mit „ihrem“ Bahnhof verbinden. Beim Grenzübertritt am Bahnhof Friedrichstraße (Monika Maron und Jens Sparschuh), als Liebeserklärung an den Gare du Nord (George Simenon), oder als Abschied von der Menschlichkeit am Bahnhof Aachen (Thomas Wolfe) und weiteren Bahnhöfen der Welt.
Jeder kennt dergleichen Bahnhöfe auch und hat seine Geschichte mit ihm, sei es der Bahnhof in Helsinki und der Finnlandbahnhof in St. Petersburg, die ihre gemeinsame Geschichte haben, weil einst Lenin in ihm abfuhr bzw. ankam um die Welt zu verändern und die seit dem, aller politischen Gegensätzen zum Trotz, direkt miteinander verbunden sind, oder der Bahnhof in Cardiff mit seinem noch heute deutlich getrenntem Empfangs- und Abfahrtsbereich, der Bahnhof in Hamburg mit viel zu vielen Fahrgästen am Freitagnachmittag und man sich trotzdem gefunden hat. Auch der Bahnhof in Uelzen der mit seinem Hundertwasserbau Menschen aus aller Welt in die Provinz zieht oder die Ruhrgebietsbahnhöfe, keine Schönheiten und jeden Werktag überfüllt, aber doch eine Verbindung zur Welt. Der Blick entlang der Gleise in die Ferne illustriert, was Joseph Roth formulierte: Man könnte jahrelang zuhause sitzen und zufrieden sein, wenn nur nicht die Bahnhöfe wären.
Diese Sehnsucht nach der Ferne vermitteln beide Bücher den Daheimgebliebenen und den Ruhelosen.
Lis Künzli: Bahnhöfe. Ein literarischer Führer. ISBN978-3-8218-0779-9
Mario Leis: Bahnhöfe. Geschichten von Ankunft und Abschied.
ISBN 978-3-458-34671-5

Auch lesend sich dem Fußball widmen

Seit diesem Jahr habe ich eine kleine Literaturkolumne in unserer lokalen Wochenzeitung. Jeweils in der letzten Ausgabe des Monats der Werdener Nachrichten  erscheint eine Besprechung eines oder mehrerer Titel zu einem Thema. Für diejenigen die diese Zeitung nicht beziehen aber trotzdem wissen wollen, was ich da so bespreche, gibt es die Artikel mit etwas zeitlichem Versatz nun auch hier.

Hacke: Fußballgefühle
Für einige von hat sie schon begonnen, die Ausnahmezeit, in der in vielen Gesprächen – ob von eingefleischten Fans oder moderateren Freunden des Fußballs – Pässe keine Reisedokumente sind, Tore keine Einfahrten verschließen und ein Sechser nichts mit einem Lottogewinn zu tun hat.

Alle zwei Jahre schließt sich an die mehr oder weniger spannende Fußballbundesliga die Welt- bzw. Europameisterschaft an. Seit vielen Jahren, nicht erst seit 2006, als der Weltfußballwettbewerb in Deutschland stattfand, kann der Fußball dann wieder seine schichten-, generationen- und geschlechterübergreifende gemeinschaftsbildende Kraft entfalten. Bereits zum 25. Jahrestag der Bundesliga 1988 beispielsweise, hat Kardinal Hengsbach sich in einem Essay als eingefleischter Fan von Schalke 04 und kritischer Begleiter des Fußballs im Allgemeinen zu erkennen gegeben. Schriftsteller und Intellektuelle wie Ludwig Harig, Andrei S. Markovits, Ror Wolf, Norbert Eberlein und Robert Gernhard  haben ein Faible für den Fußball entwickelt und sogar Thomas von Aquin hat sich zum Spiel als menschenbildende Kraft geäußert.

[dropcap]W[/dropcap]er sich mental oder sprachlich in der verbleibenden Zeit auf die WM vorbereiten möchte, dem bietet der Buchmarkt derzeit eine große Auswahl. Obwohl man Fußball, wie ein Rezensent schrieb, nicht lesen oder schreiben, sondern nur spielen und verstehen kann, erscheinen derzeit Bücher zur Statistik vergangener Jahre, Bücher zur Vorstellung der Mannschaften aber andere, auch tiefsinnigere Titel – ältere Titel erleben Neuauflagen.
Axel Hacke hat sich in seinem Büchlein „Fußballgefühle“ den Emotionen, die seine Generation (Jahrgang 1954) mit Fußball verbindet, gewidmet. Durchaus assoziativ geht er durch „seine“ Fußballgeschichte und beleuchtet, mal fein durchdacht, mal eher vorurteilsgetrieben kurzschlüssig seine und seiner Generation Verhältnis zum Fußball: Von kindlicher Verehrung bis erwachsen-intellektuellem Besserwissen. Hacke ist Journalist, war auch einige Zeit Fußballreporter und kann viele Innenansichten bieten. Dann ist sein Text am stärksten. Verallgemeinernde Zuweisungen des Fußballunverstandes hätte er besser gelassen. So ist Moritz Rinkes „Also sprach Metzelder zu Mertesacker …“ ein lesenswertes Gegenbeispiel, zu Hackes Behauptung, dass es viele deutschsprachige Schriftsteller nicht verständen und sich nicht damit beschäftigten, was „das Volk“ tue und mit Fußball verbinde. Rinke beschreibt seine Liebeserklärungen an den Kampf um Ball, Tor und den besten Sitzplatz im Stadion in vielen „Was-wäre-wenn-Szenen“, die auf den ersten Blick absurd, dann aber wieder überraschend hellsichtig scheinen.

Wer sich für seine Zwischenrufe und originellen Kommentare beim gemeinschaftlichen Fußballschauen inspirieren will, sei die Sammlung der eloquent trivialen Bonmots der Fußballakteure (Spieler, Trainer, Medien und Politiker) von Ben Redelings empfohlen. In dem 380 Seiten starken Wälzer sind die unsinnig-sinnigen Sentenzen der selbsternannten, weltweisen Fußballexperten versammelt und man fragt sich bei manchem Spruch wie die äußernde Person öffentliches Rederecht erlangen konnte.

Ob wir es mit Thomas von Aquin halten, der feststellte, dass Spielen notwendig sei zur Führung eines menschlichen Lebens oder mit Umberto Eco, der im Fußball einen weit verbreiteten religiösen Aberglauben unserer Zeit, das wirkliche Opium fürs Volk sieht – wir werden dem Fußball nicht ausweichen können.

Axel Hacke: Fußballgefühle. ISBN 978-3-88897-933-0
Moritz Rinke: Also sprach Metzelder zu Mertesacker … ISBN 978-3-462-04401-0
Ben Redelings: Ein Tor würde dem Spiel jetzt gut tun. ISBN 978-3-89533-515-0

Motorradheulen und Vogelgezwitscher: Stille, Klang, Krach und Lärm

Seit diesem Jahr habe ich eine kleine Literaturkolumne in unserer lokalen Wochenzeitung. Jeweils in der letzten Ausgabe des Monats der Werdener Nachrichten  erscheint eine Besprechung eines oder mehrerer Titel zu einem Thema. Für diejenigen die diese Zeitung nicht beziehen aber trotzdem wissen wollen, was ich da so bespreche, gibt es die Artikel mit etwas zeitlichem Versatz nun auch hier.

Murray SchaferFluglärm und zunehmender Verkehrslärm: Wir diskutieren schon länger die Belastungen, die durch KFZ- und Fluglärm entstehen. Doch erst in letzter Zeit tritt die Belastung durch Lärm ins größere öffentliche Bewusstsein. Es gibt jedoch schon länger Versuche der systematischen Beschäftigung mit unserer klanglichen Umwelt.
Bereits in den siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts hat sich der Kanadier R. Murray Schafer die Frage nach den Veränderungen der Klangumgebung gestellt. Dabei ging es zunächst weniger um die Frage der Belästigung durch Lärm, sondern eher um die Frage wie sich unsere Umwelt klanglich verändert im Laufe der Zeit.
In seiner 1977 erstmals in Toronto erschienenen Kulturgeschichte des Hörens „The Tuning of the World“ (1988 zunächst recht oberflächlich und nicht ganz vollständig in deutscher Übersetzung bei Athenäum erschienen, 2010 in ganz neuer Übersetzung bei Schott) stellt Murray Schafer seine ersten Überlegungen zur Frage der klanglichen Gestalt der Welt an. Begleitet wurden seine Überlegungen, durch das von ihm initiierte „World Soundscape Project“ in den späten 60er und frühen 70er des 20. Jahrhunderts:
Während wir uns aus der Frühzeit der Zivilisation der Antike, über das Mittelalter bis hinein in die Neuzeit sehr leicht durch Bildhauerei, Malerei und zuletzt Fotographie eine Vorstellung über die visuelle Gestalt vergangener Zeiten machen können, haben wir so gut wie keine Vorstellung vom klanglichen Umfeld der Städte und Landschaften vergangener Zeiten. Einzig die Musik, wenn sie auf alten Instrumenten gespielt wird, vermag uns einen Eindruck von den kunstfertigen Klängen vergangener Jahrhunderte zu geben. Wie unsere Städte und Landschaften aber geklungen haben bevor maschinenerzeugte Klänge sie dominierten, ist kaum vorstellbar und vielleicht an einigen entlegenen Plätzen der Welt noch erfahrbar. Schafer erzählt die Geschichte der Veränderung und der Nicht-Wahrnehmung der Veränderungen unseres klanglichen Umfelds. Er beschreibt, wie der Lärm der Fabriken, der Lärm der fernen Eisenbahn als wohltuender Klang des Fortschritts galt; wie die Maschinen unser klangliches Umfeld schleichend aber endgültig verändert haben. Heute gelten Manchem dröhnende Motorräder als Inbegriff von Freiheit und Freizeit. Während Stille sogar in Fahrstühlen oder Kirchenräumen zumindest mit Hintergrundmusik beseitigt werden muss.
Schafer lenkt die Aufmerksamkeit auch auf die alltäglichen Klangereignisse: Können wir unseren Schlüsselbund am Klang von anderen unterscheiden? Wie klingt Kies unterschiedlicher Körnung, wenn wir darauf laufen? Diese und andere Klangwahrnehmungsaufgaben, die Schafer mit seinen Studenten durchführte, werden berichtet im glücklicherweise immer noch lieferbaren Bändchen: „Der Aufstand des Ohrs – die neue Lust am Hören“. Die Aufgaben führen den Übenden in eine ganz neue Dimension der Umweltwahrnehmung. Sie machen erfahrbar, was Johne Cage meinte, mit seinem Hinweis, dass jedes Geräusch interessant sei, wenn man nur genau zuhörte – auch die Stille!
Einen ganz anderen Zugang zur auditiven Umwelt eröffnet der inzwischen leider verstorbene Jazzkenner und SWR-Musikjournalist Joachim E. Behrendt. Die aus einer Radiosendungsreihe beim SWR entstandene Zusammenstellung „Nada Brahma – die Welt ist Klang“ (1983 erstmals erschienen, seit 2007 als Suhrkamp-TB lieferbar) setzt sich mit der philosophischen, psychologischen und auch metaphysischen Dimension unserer klanglichen Umgebung auseinander.
Während Berendt fragt, was macht „Hören“ und die Veränderungen der klanglichen Umwelt eigentlich mit uns, versuchen Schafer und sein Soundscape-Team der im Hermann Hesses Glasperlenspiel geäußerte Befürchtung entgegen zu wirken: „Damals sind von Menschenohren Klänge gehört worden, die keine Wissenschaft und kein Zauber … zurückbeschwören können.“
Beide Bände sind sehr aktuell und lesenswert; die Neuausgabe und Ergänzung von Murray Schafers Kulturgeschichte des Hören ist ein sehr dankenswertes Projekt.

R. Murray Schafer: Die Ordnung der Klänge. Eine Kulturgeschichte des Hörens. Schott. 2010. ISBN 978-3-7957-0716-3
Bernius/Kemper/Oehler/Wellmann: Der Aufstand des Ohrs – die neue Lust am Hören. Vandenhoeck und Ruprecht. 2006. ISBN 978-3-525-49095-2
Johannes E. Berendt: Nada Brahma. Die Welt ist Klang. Suhrkamp. 2007. ISBN 978-3-518-45895-2

Hinter meinen Büchern im Regal

Briefe

Es ist schon ein Segen, dass Bücher in ihrer Breite nicht immer die gesamte Regaltiefe ausfüllen. Hinter den Bücher kann man Dinge, Bücher meist, aber auch Notizbücher, Zeichnungen, Zeitungsausschnitte ablegen – und nach vielen Jahren wiederfinden. Besonders reich bevölkert ist das „Hinter-Buch-Universum“ bei Eckregalen. Die entstehenden Tiefen lassen erstaunliche Funde zu. Ein Kästchen mit besonderen Briefmarken, ein weiteres mit Pins, die sich im Leben so angesammelt haben. Darunter einige von den legendären Veranstaltungen im größten Park der Stadt zum ersten Mai in den 70er Jahren. Und, ja tatsächlich ein Bündel Briefe – analoge. Blau, nicht rosa, aber mit Schleifchen. Kürzlich beim Aufräumen meiner Bibliothek sind sie mir in die Hände gefallen. Anlässlich des wunderbaren Textes von Birgit Böllinger in ihrem Blog zum Thema Briefeschreiben, habe ich sie mal hervorgeholt. Zu finden waren sie – Zufall oder Absicht? hinter den Lyrikbändchen.

Briefe stammen aus den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts. Hach wie war die Zeit wild, romantisch auch. Auf den Inhalt kann ich hier nicht näher eingehen, doch die Zeilen von Sophie Albrecht beschreiben ihn ganz gut:

Mit der Liebe schnellem Flügel,
Über Berge, über Hügel,
Eile,
theures Briefchen, hin,
Wo ich oft im Geiste bin.
Heiß und innig ihn zu fragen,
Ob der Inhalt meiner Klagen,
Ob die Thräne, die ihm fließt,
Heilig seinem Herzen ist.

Wie sind die jungen Menschen heute zu bedauern, die dergleichen mit SMS oder vergleichbaren Kurznachrichtendiensten mitteilen. So poetisch diese Texte manchmal sein mögen, sie sind halt keine Briefe.
Aber vielleicht gibt es auch dafür ein Archiv, eine andere Art „Hinter-Buch-Universum“ aus dem die alten Kurznachrichten irgendwann wieder auftauchen. Ganz sicher aber nicht hinter Lyrikbänden.

Und was findet Ihr so in Euren HBUs?

HBU ZeitschriftenHBU Briefe

HBU Kasten