Schlagwörter
So gerne ich auch das Über-Setzer-Logbuch von Gabriele Zöttl lese, muss ich doch zu der in diesem und in anderen Blogs um sich greifenden Subjektivierung des Wortes Sprache. Gregory Bateson hat diese Subjektivierung von Abstraktionen bereits 1940 in einem Vortrag auf der Seventh Conference on Methodes in Philosophy and the Science (deutsch „Spekulationen über ethnologisches Beobachtungsmaterial“ in Ökologie des Geistes 1981) kritisiert und darauf hingewiesen, dass derlei Verselbständigung zu fatalen Trugschlüssen führt.
Sätze wie das „Aufkommen von weblogs für jedermann war für die Sprache ein Leidensweg“ oder in anderen Blogs und Publikationen, dass die Sprache verfällt oder gar schlimmer: stirbt, machen Sprache zu einem leidens- und handlungsfähigen Subjekt.
Sprache ist aber ein – und das kann gar nicht deutlich genug gesagt werden – sich veränderndes psychosoziales Phänomen. Ja, es ist geradzu konstituierend für Sprache, dass sie sich verändert.
Insofern sind Weblogs und andere neuzeitlichen Phänomene keine Gefahr für Sprache, sondern Impulsgeber für deren Veränderung und damit ein Beitrag zur Sicherung ihrer Viabilität.
Ja, es geht tatsächlich nicht darum, ob die Elemente einer Sprache in einer Weise genutzt werden, wie es den selbsternannten Hütern der Sprachkultur passt oder nicht, sondern darum, ob der Sprachgebrauch passend, brauchbar, funktional – eben viabel – ist.
Und hier genau würde ich Sprachkultur verorten. Nicht dass jemand meint, ich würde – im Rahmen der Beschäftigung mit Sprache – einem „Anything goes“ (Paul Feyerabend) das Wort reden. Nein, das Maß für Sprachkultur ist eben die Frage, ob die verwendeten sprachlichen Mittel, ich sag es nochmal: passend, brauchbar, funktional (i.S.v. zielführend) für den intendierten Zweck sind. Das verlangt einen bewußten Umgang mit Sprache.
Insofern – und da stimme ich dem Über-Setzer-Logbuch wieder zu – haben die Freunde des bewußten Umgangs mit Sprache oft – auch im Internet – einen schweren Stand.
Ein ganz anderes Thema ist die ideologiekritische Auseinandersetzung mit Sprachgebrauch. Die Kritik also, die sich mit durchaus viabler Verwendung spachlicher Mittel um zu Manipulieren auseinandersetzt. Hier findet sich im Internet kaum etwas. (Wer etwas findet möge mich in einem Kommentar korrigieren.)
Aber auch hier geht es nicht um Sprache (die missbraucht wird, leidet, verfällt oder sonst was tut), sondern um die Kritik eines speziellen Gebrauchs von Sprache! Aufzudecken ist hier, welche Interessen durch die Verwendung von sprachlichen Mitteln verdeckt werden sollen. Wahlkämpfe sind hier geeignete Studienobjekte.
Unter den besten Sprach-Blogs befinden sich – leider – überwiegend sprachkritische (i.S.v. „die Sprachkultur verfällt“) oder sprachlehrende Blogs oder Übersetzungsblog. Eine sehr schöne Ausnahme ist The Linguist on Language – sein kleiner (Video)beitrag über Fehler im Sprachgebrauch ist geradezu programmatisch für seinen Blog: Es ist besser eine (Fremd)sprache mit Fehlern zu sprechen, als keine (Fremd)sprache – und ein „Fehler“ ist es erst, wenn Du nicht verstanden wirst. Großartig!
[Schreibfehler im letzten Satz korrigiert; Dank an Frau Zöttl]
Es wird Sie vielleicht überraschen, aber ich stimme Ihrer Kritik an mir und anderen Sprachjammerern weitgehend zu. Es gibt wohl kaum jemanden, der in Sprachsachen ähnlich pingelig ist wie Übersetzer und Lektoren. Wenn Übersetzer in ein Restaurant gehen, korrigieren sie als erstes die Speisekarte. Das ist eine Berufskrankheit.
Zu einem Kommentar hat mich allerdings Ihr letzter Satz bewogen. Gerade im Internet passiert es mir immer öfter, daß ich tatsächlich nicht verstehe. Nicht weil ich das Thema oder die Wörter nicht verstehen würde, sondern weil die Satzzeichen fehlen, Groß- und Kleinschreibung verwechselt werden, getrennt wird, was zusammen gehört, Numerus und Kasus nicht stimmen, die Wörter in willkürlicher Reihenfolge hintereinander gestellt werden, ähnlich klingende Wörter verwechselt werden und so weiter. Natürlich ist das nicht Sache der Sprache, sondern der Sprechenden. Aber ich glaube schon, daß das Internet bei vielen den Eindruck erweckt, als sei diese falsche, weil ihres Sinnes beraubte Sprache akzeptabel, sogar normal.
Touché, Frau Zöttl. Dass Sie den Satz aber nicht verstanden haben, glaube ich Ihnen nicht.
Was genau, ist „ihres Sinnes beraubte Sprache“?
Wie gesagt, wenn ein Sprecher/Schreiber verstanden werden will, soll er sich bemühen, so zu sprechen/schreiben, dass seine Zielgruppe ihn versteht.
Ihren Satz habe ich schon verstanden, aber in vielen Weblogs und Foren verstehe ich ehrlich nur noch Bahnhof.
Mit der ihres Sinnes beraubten Sprache meine ich einfach folgendes: Die Sprache dient dazu, einen bestimmten Inhalt zum Leser oder Hörer zu transportieren. Wenn sie diese Aufgabe nicht erfüllt, hat sie keinen Sinn. Der Sprecher könnte ebenso gut blöken oder krähen, die Wirkung wäre dieselbe. Genau dafür haben wir doch Grammatik- und Rechtschreibregeln. Sie sind eine Art Vertrag, der sicherstellt, daß der Empfänger die Botschaft genau so versteht, wie der Absender sie verstanden wissen will.
Im Grunde sind wir also einer Meinung. Nur würde ich Ihr „wer verstanden wer will, soll sich um Klarheit bemühen“ durch „jeder muß sich um Verständlichkeit bemühen“ ersetzen. Ich bin altmodisch. Ich finde es schlicht unhöflich und rücksichtslos, dem Leser/Zuhörer einen Text vor die Füße zu werden, den dieser nur mit Glück und Mühe entschlüsseln kann.
Oh, irgendwie scheinen wir gar nicht soweit auseinander zu sein.
Aber dennoch: Unklarheiten, Missverständnisse und „Aneinander-vorbei-reden“ entsteht in der Vielzahl der Fälle nicht wegen Fehlern in Grammatik und Rechtschreibung, sondern wegen der unterschiedlichen Bedeutung, die Menschen den „Wörtern“ zu schreiben. Insbesondere die vielen Konnotationen, die Menschen sprachlichen ausdrücken zuordnen. Hier stimme ich Ihnen zu: Wenn die sprachlichen Ausdücke nicht zielführend, inhaltstransportierend verwendet wird, dann hat hat er Sprecher/Schreiber etwas falsch gemacht. Ob es darüber hinaus unhöflich ist, sei dahin gestellt.
Ich will auf folgendes hinaus:
– Sprache verfällt, stirbt oder leidet nicht. Ihr Gebrauch verändert sich. Anomalien, kreativer Gebrauch und „Fehler“ tragen dazu bei. In den Jahren (und es sind schon einige), in denen ich mich mit Sprache beschäftige habe ich da Einiges an Veränderungen gesehen. Manches davon habe bedauert, aber es ist nunmal so.
– In Sachen Rechtschreib- und Grammatikfehler habe ich mir (in den Grenzen der Verständlichkeit!) eine gewisse Dickfelligkeit zugelegt (manchmal sitze da auch im Glashaus …;-)
Gerade weil die Sprache nicht nur ein gemeinschaftliches Kommunikationsmittel, sondern zugleich etwas sehr Individuelles (jeder hat seine eigenen Konnotationen) ist, ist es meiner Meinung nach so wichtig, die Grundregeln von Rechtschreibung und Grammatik zu beachten. Sonst ist sie statt Kommunikationsmittel nur noch individuell.
Die Dickfelligkeit kann ich mir schon von Berufswegen nicht zulegen. Aber ich will sie mir auch nicht zulegen. Selbstverständlich sitzen wir alle im Glashaus, denn jeder macht Fehler. Aber soll man deswegen die Augen vor Fehlern verschließen? Das halte ich für kontraproduktiv, obwohl es natürlich (wenn ich mir noch einmal einen Pauschalschlag erlauben darf) dem ständigen Streben des Menschen nach dem niedrigsten möglichen Niveau entspricht.
Ich muß es zugeben: Für mich ist die Sprache nicht nur ein psychosoziales Phänomen oder Handwerkszeug, sondern ein lebender Organismus, ein Lebewesen, das mir sehr nahesteht. Wir vertragen uns nicht immer gut, ich streite oft mit ihr, weil sie ihren eigenen Kopf hat und ausgesprochen dickköpfig sein kann. Aber sie ist ein guter Freund, und wer ihr weh tut, tut mir weh.
Oh weh, da komme ich, liebe Frau Zöttl, leider nicht mit.
Sprache als Wesen … Das hatte ich ja schon geschrieben, ist für mich kein Konzept – wenngleich ich nachvollziehen kann, was Sie meinen.
Nur, damit keine Misverständnisse entstehen: Selbstverständlich bin ich der Meinung, dass es wichtig und sinnvoll ist, sich an die Regeln der Grammatik und Schreibung zu halten. Nur, wenn es einige Menschen nicht tun, tut es (in meiner Welt!) weder der Sprache (weil kein Wesen) noch mir (weil dickfellig) weh.
Die Frage, ob Menschen wirklich nach dem niedrigst möglichen Niveau streben, halte ich tatsächlich für sehr pauschal und – verzeihen Sie – ein wenig überheblich.
Das schmälert meine Sympathie für die sprachgewandte Übersetzerin aber keineswegs – im Gegenteil.
Wir müssen ja nicht einer Meinung sein. Es wäre doch zu schade, ausgesprochen langweilig und auch der Evolution nicht förderlich, wenn alle Menschen die Welt mit denselben Augen sähen. Immerhin haben wir doch im Kernpunkt Gemeinsamkeiten gefunden und Sie haben mich wieder ein bißchen auf den Teppich zurückgeholt, von dem ich gelegentlich abhebe, wodurch ich zuweilen durchaus (und nicht immer unbeabsichtigt) überheblich erscheinen mag.
Natürlich sind Grammatik- und Rechtschreibfehler kein Kapitalverbrechen. Ich erwarte auch (außer bei professionellen Texten und Reden) keine Fehlerfreiheit. Was ich mir allerdings sehr wünsche ist ein größeres Bewußtsein dafür, daß die Grammatik- und Rechtschreibregeln kein Selbstzweck sind (dann könnte man sie tatsächlich getrost ignorieren), sondern ein wesentlicher Faktor des Inhalts und der Verständlichkeit sind. Das ist eigentlich der tiefere Sinn aller meiner Klagen, sei über Grammatikfehler, Anglizismen oder Werbegeschwätz.