Seit diesem Jahr habe ich eine kleine Literaturkolumne in unserer lokalen Wochenzeitung. Jeweils in der letzten Ausgabe des Monats der Werdener Nachrichten erscheint eine Besprechung eines oder mehrerer Titel zu einem Thema. Für diejenigen die diese Zeitung nicht beziehen aber trotzdem wissen wollen, was ich da so bespreche, gibt es die Artikel mit etwas zeitlichem Versatz nun auch hier.

Für einige von hat sie schon begonnen, die Ausnahmezeit, in der in vielen Gesprächen – ob von eingefleischten Fans oder moderateren Freunden des Fußballs – Pässe keine Reisedokumente sind, Tore keine Einfahrten verschließen und ein Sechser nichts mit einem Lottogewinn zu tun hat.
Alle zwei Jahre schließt sich an die mehr oder weniger spannende Fußballbundesliga die Welt- bzw. Europameisterschaft an. Seit vielen Jahren, nicht erst seit 2006, als der Weltfußballwettbewerb in Deutschland stattfand, kann der Fußball dann wieder seine schichten-, generationen- und geschlechterübergreifende gemeinschaftsbildende Kraft entfalten. Bereits zum 25. Jahrestag der Bundesliga 1988 beispielsweise, hat Kardinal Hengsbach sich in einem Essay als eingefleischter Fan von Schalke 04 und kritischer Begleiter des Fußballs im Allgemeinen zu erkennen gegeben. Schriftsteller und Intellektuelle wie Ludwig Harig, Andrei S. Markovits, Ror Wolf, Norbert Eberlein und Robert Gernhard haben ein Faible für den Fußball entwickelt und sogar Thomas von Aquin hat sich zum Spiel als menschenbildende Kraft geäußert.
[dropcap]W[/dropcap]er sich mental oder sprachlich in der verbleibenden Zeit auf die WM vorbereiten möchte, dem bietet der Buchmarkt derzeit eine große Auswahl. Obwohl man Fußball, wie ein Rezensent schrieb, nicht lesen oder schreiben, sondern nur spielen und verstehen kann, erscheinen derzeit Bücher zur Statistik vergangener Jahre, Bücher zur Vorstellung der Mannschaften aber andere, auch tiefsinnigere Titel – ältere Titel erleben Neuauflagen.
Axel Hacke hat sich in seinem Büchlein „Fußballgefühle“ den Emotionen, die seine Generation (Jahrgang 1954) mit Fußball verbindet, gewidmet. Durchaus assoziativ geht er durch „seine“ Fußballgeschichte und beleuchtet, mal fein durchdacht, mal eher vorurteilsgetrieben kurzschlüssig seine und seiner Generation Verhältnis zum Fußball: Von kindlicher Verehrung bis erwachsen-intellektuellem Besserwissen. Hacke ist Journalist, war auch einige Zeit Fußballreporter und kann viele Innenansichten bieten. Dann ist sein Text am stärksten. Verallgemeinernde Zuweisungen des Fußballunverstandes hätte er besser gelassen. So ist Moritz Rinkes „Also sprach Metzelder zu Mertesacker …“ ein lesenswertes Gegenbeispiel, zu Hackes Behauptung, dass es viele deutschsprachige Schriftsteller nicht verständen und sich nicht damit beschäftigten, was „das Volk“ tue und mit Fußball verbinde. Rinke beschreibt seine Liebeserklärungen an den Kampf um Ball, Tor und den besten Sitzplatz im Stadion in vielen „Was-wäre-wenn-Szenen“, die auf den ersten Blick absurd, dann aber wieder überraschend hellsichtig scheinen.
Wer sich für seine Zwischenrufe und originellen Kommentare beim gemeinschaftlichen Fußballschauen inspirieren will, sei die Sammlung der eloquent trivialen Bonmots der Fußballakteure (Spieler, Trainer, Medien und Politiker) von Ben Redelings empfohlen. In dem 380 Seiten starken Wälzer sind die unsinnig-sinnigen Sentenzen der selbsternannten, weltweisen Fußballexperten versammelt und man fragt sich bei manchem Spruch wie die äußernde Person öffentliches Rederecht erlangen konnte.
Ob wir es mit Thomas von Aquin halten, der feststellte, dass Spielen notwendig sei zur Führung eines menschlichen Lebens oder mit Umberto Eco, der im Fußball einen weit verbreiteten religiösen Aberglauben unserer Zeit, das wirkliche Opium fürs Volk sieht – wir werden dem Fußball nicht ausweichen können.
Axel Hacke: Fußballgefühle. ISBN 978-3-88897-933-0
Moritz Rinke: Also sprach Metzelder zu Mertesacker … ISBN 978-3-462-04401-0
Ben Redelings: Ein Tor würde dem Spiel jetzt gut tun. ISBN 978-3-89533-515-0