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Adson.

~ Neues aus der Welt von Adson

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Archiv des Autors: gmeder

Ausflüge und Jahreszeiten: Ein Krug aus Sibirien

10 Samstag Mär 2012

Posted by gmeder in Kruggeschichten, Reisen, Russland

≈ 5 Kommentare

Inspiriert von Petra Gust-Kazakos (aka Philea), die in Ihrem Blog „Sammelstückchen“ ausstellt habe ich in unserem Haus mal die Krüge zusammengesucht, die sich im Laufe der Jahre so angesammelt haben. Fast alle der Krüge stammen von Reisen, wenngleich Sie nicht als Souvenir im eigentlichen Sinne gedacht waren, dennoch:  Als ich jeden Krug in die Hand nahm, um ihn zum Foto zurecht zustellen, kamen tatsächlich die Erinnerungen an die Situation in der ich den der Krug erworben, nicht immer gekauft, habe. Einige davon habe ich Philea erzählt und sie hat davon in ihrem Blog berichtet. Krüge scheinen doch von größerem Interesse zu sein, als ich dachte. Es trudeln nun Nachfragen nach einzelnen Krügen und deren Geschichten ein.  Das  nehme ich zum Anlass, eine kleine Serie begründen – für die Krug- und Geschichteninteressierten.


Der Artikel ist etwas lang geworden. Wer ihn lieber hören als lesen mag, kann ihn hier anhören oder herunterladen:  

Krug aus Sibirien

Der Krug im Bild stammt aus Sibirien, genauer aus Tobolsk. Wenn ich ihn ansehe, dann entführt mich die Erinnerung zurück in meine Zeit in Tjumen.

[dropcap]S[/dropcap]ibirien. Hier nur bekannt als Land der Kälte und der Verbannung. Das ist aber nur zum Teil richtig. Tatsächlich ist es dort wirklich richtig kalt. Zu Beginn meiner Zeit in Tjumen wurde ich auf eine Datscha mit Sauna an einem kleinen See außerhalb von Tjumen eingeladen wurde. Zunächst sollte gegessen werden und dann in die Sauna. Ja, das ist anders als bei uns. Bei uns hat Sauna immer etwas Körper-gesundes. In Russland ist Sauna (Banja) in erste Linie etwas für die Seele, auch darf man nach einem guten und reichlichen Essen in die Sauna. So wird auch Vodka und „Schapanska“ zwischen den Saunagängen getrunken. Aber das ist eine ganz andere Geschichte.

Ich will zunächst von der Kälte erzählen.  – Vor dem Essen wollte ich noch eine kleine Wanderung machen. Es war Winter, ein wunderschöner Winter. Die Sibirier sagen, der Winter sei die schönste Jahreszeit in Sibirien. Es mögen so minus 30 Grad gewesen  sein. (Ja es geht auch kälter, das ist aber eher im Nordosten Sibiriens, Tjumen liegt im Südwesten.) Schöne trockene Kälte, der Schnee so kalt und pulverig, dass man ihn kaum zu Schneebällen formen kann.

Nun, ich wollte also – bis zum Essen waren noch drei Stunden zu überbrücken – ein wenig wandern. Allein, um die Landschaft und die Atmosphäre auf mich wirken zu lassen.  Ich lief also los, dick in warme Kleidung gepackt. Einfach den Weg im Schnee entlang in den laublosen, deshalb übersichtlichen, Birkenwald.

Ich hatte vor, ungefähr eine Stunde zu gehen und dann umzukehren. Nach einer Stunde wurde mir kalt und ich kehrte um. „Das passt ja“, dachte ich und begann mich auf einen heißen Tee zu freuen. Was dann kam, habe ich bis heute in lebhafter Erinnerung: Mir wurde kälter und kälter. Selbst schnelles Gehen, dann Laufen führte nicht mehr dazu, dass mir warm wurde. Ich fror von innen. Nicht nur die Hände und Füße, die auch schon mal in Winter bei uns kalt werden. Nein, die Kälte schien von innen zu kommen und mir die Kräfte zu rauben. Das Laufen wurde immer mühsamer und irgendwie machte sich auch so etwas wie Angst breit.

Endlich sah in einiger Entfernung die kleine Datschensiedlung und dann auch das Häuschen und die dampfende Sauna. Außer Atmen und völlig durchgefroren kam ich an. Man hatte sich schon sorgen gemacht und schüttelte über „den aus dem Westen“ den Kopf: „Wandern?! Im Winter?!“

[dropcap]I[/dropcap]m Sommer dagegen ist es sehr heiß in Sibirien. Im Südwesten Sibiriens kommen in den sumpfigen Gebieten dann noch die Mücken dazu. Ein Aspekt des Klimas in Sibirien, der im Westen eher weniger bekannt ist. Die atemberaubendste Jahreszeit in Sibirien ist aber der sehr kurze Herbst.

Es war schon Herbst, als ich zu einem Tagesausflug in die nach Tjumen zweitgrößte Stadt Sibiriens, nach Tobolsk, eingeladen. Tjumen ist die Haupstadt und zugleich größte Stadt des Tjumenskij Oblast (einem Förderationssubjektes Russlands, unseren Bundesländern vergleichbar). Der Tjumenskij Oblast hat insgesamt ca. 1,3 Mio Einwohner auf einer Fläche eines Drittels der Größe von Deutschland (ca. 8 Einwohner je qkm, Deutschland 229 Einwohner je qkm)), davon Leben ca. 580.000 in Tjumen-Stadt.

Es sollte also nach Tobolsk gehen, die auch zweitälteste Stadt des Oblast Tjumen – die älteste ist Tjumen. Sehenswert sei dort der älteste steinerne Kreml östlich des Ural. „Tagesausflug“, das heißt wohl 1-2 Stunden fahren, den Tag Vorort verbringen und dann wieder 1-2 Stunden zurück. Auch die Entfernungsangabe, ca. 250 km, ließ auf einen solchen Ablauf schließen.

Nun, ich hatte zu lernen, dass Entfernungen und Zeitläufe in Sibirien anders gemessen werden. Am Morgen der Abfahrt traf sich die kleine Gruppe vor einem Syncro, einer Art geländegängigen, allradgetriebenen VW-Bus aus den UAZ-Werken in Uljanovsk (genauer: ein UAZ 452V, die Personentransportervariante eines geländegängigen Kastenwagens). Kisten und Taschen mit allerlei Gerät sowie Ess- und Trinkbaren wurden in den freundlich hellblau und weiss gefärbten Minibus verladen und es ging los. Innerstädtisch ging es noch ganz flott. Nachdem wir die GAI-Station (Verkehrspolizei) am Außenring der Stadt passiert hatten, wurden die Straßen jedoch merklich schlechter, die Natur dafür umso atemberaubender. Dieses Gelb der Birkenwälder ist ohne Gleichen. Noch heute dringt es aus meinen Träumen in den Tag.

Wir legen so zwischen 30 und 50 Kilometer in der Stunde zurück. Die Aussicht auf die Landschaft, die zunächst abwechslungsreich ist, lenkt von dem geringen Tempo er Reise ab. Die Wälder wechseln ab mit den sumpfigen Steppen. Nach einiger Zeit verliert sich jedes Zeichen von Zivilisation, nur am Horizont sind menschliche Siedlungen zu erkennen. Und tatsächlich, das sieht aus wie ein Minarett. Ich erfahre, dass wir im Lande der Tartaren sind (genauer, die Chanten und Mansen, in deren autonomen Region „Chanti-Mansisk“ auch Tartarenvölker leben). In dieser Region leben einige tartarischen Völker, die mehrheitlich Muslime sind und hier, natürlich, auch ihre Gotteshäuser haben.

Die Landschaft wird eintöniger und nach bereits drei Stunden Fahrt werde ich unruhig. „Kann man schon etwas sehen, von unserem Ziel?“ Jede Flussbiegung halte ich für Vorzeichen der Mündung des Tobol in den Irtysch, jenes Zusammenflusses an dem Tobolsk liegen sollte. Meine Reisegefährten schmunzeln bei meiner Nachfrage. Ich meine sehen zu können, was sie denken: „Diese ungeduldigen Leute aus dem Westen.“.

Nun, man suchte zunächst ein schönes Plätzen in der Nähe des Flusses um ein Picknick zu machen. Grill, Gaskocher und die vielen sibirischen Köstlichkeiten werden ausgepackt. So lerne ich den gekocht wie gegrillt gleichermaßen leckeren Weißfisch „Muksun“ kennen. Tee wird gekocht und auch Wodka getrunken. Zu meiner Beunruhigung sogar vom Fahrer. Mein kritischer Blick, den ich leider nicht unterdrücken kann, wird mit dem Hinweis darauf, dass der Fahrer sehr erfahren sei und die Straßen breit und wenig kurvig sind, quittiert.

Ausführliches russisches Picknick also, von erfahrener Hand zubereitet. Nach einer guten Stunde geht die Reise weiter. Die sumpfige Steppe des westsibirischen Tieflandes wird eintöniger, hin und wieder Dörfer am Horizont, ab und zu Aussicht auf den Fluss und oft entlang der Pipelines, die meist Gas, in den Süden des Landes zum Kaspischen Meer transportieren. Von dort wird es verschifft zu uns, wo es unsere Wohnungen wärmt.

Die Zeit verging quälend langsam, während der Syncro mit 30-50 Kilometern in der Stunden dahin schlich; das Ruckeln des Wagens, das Glas („Stogram“) Vodka versetzte mich in einen tranceähnlichen Zustand, der mich vom Kurier des Zaren träumen ließ. Die vom Jules Verne erzählte abenteuerliche Reise von Michael Strogoff von Moskau nach Irkutsk. Vor Jahren hatte ich das gelesen und mir nie träumen lassen, dass ich die dort beschriebenen Landschaft, das überwältigende Reisegefühl beim Anblick der Landschaften Sibiriens einmal selbst erleben werde. Orts- und Flussnamen, die ich nur aus Jules Vernes Reisebeschreibung kannte, stehen hier auf Orts- und Hinweisschildern.

Aus meinem halbschläfrigen Tagtraum wurde ich geweckt, als der Wagen plötzlich stoppte und man beschloss mir auf der Brücke über den Irtysch den Blick auf Tobolsk am Horizont zu zeigen. Tobolsk liegt auf einem kleinen Hügel (immerhin 90 m hoch, was hier im Tiefland schon wie ein Berg anmutet), den der Irtysch am Ende der Eiszeit geschoben hat.

Die Straße wurde immer besser und wir fuhren schneller, wenngleich weder Straße noch Geschwindigkeit mit den in Westeuropa herrschenden Verkehrbedigungen für eine 250 km Reise in die Nachbarstadt zu vergleichen ist. Es dauert noch eine weitere Stunde bis wir den berühmten Kreml erreichen.

Bis hierher hatten wir insgesamt acht Stunden benötigt.

[dropcap]T[/dropcap]obolsk war schnell erkundet: Die Stadt ist weitläufig, viele sibirische Holzhäuser auf großem Grundstück. Platz ist hier kein knappes Gut. Sie hat einen Hafen, der an die Häfen im nördlichen Norwegen erinnert. Der Irtysch ist hier bereits ein gewaltiger Fluss.

Der Kreml ist tatsächlich sehenswert. Er zeugt von der Zeit als sich das zaristische Russland nach Sibirien ausgedehnte. Hier nahm die Eroberung Sibiriens durch die Russen ihren Anfang und der steinerne Kreml ist der Beginn der Steinbauten in Sibirien, mit Festungsanlagen, Kathedrale und auch Handelshäusern. Auch das Heimatmuseum zeugt davon. Ein Rundgang von einer Stunde erschließt alles, was es zu sehen gibt. Da meine russisch-sibirischen Reisebegleiter zwar sehr stolz auf diese städtebaulichen Kleinode in dieser Weite Sibiriens waren, jedoch kein Interesse für die indigenen Völker Sibiriens zeigten, haben wir uns das Museum der Chanten und Mansen leider nicht angeschaut.

Innerhalb der Kremlmauern hatte eine alte Frau einen Stand mit allerlei, teils sehr frömmelnden Andenken aufgebaut. Das hat mich sehr verwundert: Einerseits die christlichen Andenken hier in Russland, dass sich doch gerade erst von seinem atheistischen Kommunismus zu emanzipieren begann (es war 1992) und ich fragte mich, ob sich das Geschäft lohnt, hier im  menschenleeren Sibirien. Danach gefragt als ich den Krug kaufte, sagte die alte Frau „Sie sind doch gekommen!“ und, ganz altersweise, „was die Kirche betrifft: Moskau und die roten Zaren sind weit …“

[dropcap]D[/dropcap]er Rest der Reise ist schnell erzählt: Wir hielten uns ca. eineinhalb Stunden in Tobolsk auf und machten uns dann auf die Rückfahrt, die, weil ohne Picknick, nur sieben Stunden dauerte. Zu sehen gab es in der Dunkelheit nicht viel. So dämmerte und schlief ich vor mich hin und träumte erneut vom Kurier des Zaren. Zwischendurch hatte ich das Gefühl das Pferdetrappeln des Tatarenheeres zur hören und als aus dem Dunkel der sibirischen Nacht die Lichter von Tjumen auftauchten, glaubte ich im Halbschlaf das Brennen der vom Tartarenführer Ogareff gebrandschatzten Siedlungen zu erkennen.

[dropcap]W[/dropcap]ieder munter im Hotel hatte ich meine Lektion gelernt für meine Zeit in Sibirien: 250 km – acht Stunden Hinfahrt – eineinhalb Stunden Aufenthalt – sieben Stunden Rückfahrt. Distanzen und Zeit haben hier eine andere Bedeutung.
Immer wenn ich den Krug anschaue mahnt er mich, meine Maße zu relativieren und erinnert mich an die Zuversicht und die Worte der alten Frau am Andenkenstand: „Sie sind ja gekommen! Moskau und die roten Zaren sind weit.“

Was Krüge so erzählen können

04 Sonntag Mär 2012

Posted by gmeder in Allgemein, Bücher, Kruggeschichten, Reisen, Schreiben

≈ 7 Kommentare

Eine Reihe, der erste internationale Vortrag und der erste Krug aus Zürich

[dropcap]I[/dropcap]nspiriert von Petra Gust-Kazakos (aka Philea), die in Ihrem Blog „Sammelstückchen“ ausstellt habe ich in unserem Haus mal die Krüge zusammengesucht, die sich im Laufe der Jahre so angesammelt haben. Fast alle der Krüge stammen von Reisen, wenngleich Sie nicht als Souvenir im eigentlichen Sinne gedacht waren, dennoch:  Als ich jeden Krug in die Hand nahm, um ihn zum Foto zurecht zustellen, kamen tatsächlich die Erinnerungen an die Situation in der ich den der Krug erworben, nicht immer gekauft, habe. Einige davon (zu den Krügen aus Kumrovec, Sarepta und vom Narrowboat) habe ich Philea erzählt und sie hat davon in ihrem Blog berichtet. Zum Thema Souvenir als Reiseerinnerung hat Petra einige Gedanken in ihrem überaus lesenswerten Buch „Ganz weit weg. Leselust und Reisefieber“ veröffentlich.

 Krüge scheinen doch von größerem Interesse zu sein, als ich dachte. Es trudeln nun Nachfragen nach einzelnen Krügen ein. Die ich hier und nicht in den Kommentaren zum Blogbeitrag beantworte, weil ich hier noch Bilder veröffentlichen kann und weil die Nachfragen nach den Krügen mir die Erinnerungs- und Kaufgeschichten wieder ins Gedächtnis rufen. Damit kann ich dann auch eine kleine Serie begründen – für die Krug- und Geschichteninteressierten.

Im Anschluss an die Veröffentlichung der Krügesammlung in Philea’s Blog haben mehrere Leser/innen fragten per per Mail danach, welches der erste Krug war. Nun, ich muss gestehen, dass ich diesen Krug auf den Bildern ganz vergessen hatte. Er stand gesondert, eben weil er der erste war hatte ich wohl aber meinen suchenden Blicken entzogen.

[dropcap]N[/dropcap]un, der erste, der Krug mit dem alles begann, stammt aus Zürich. Es war anlässlich meines ersten internationalen Vortrags auf einem Kongress. Das war die ZÜRI-Lex 1986 der Euralex, der Kongress in Zürich der Europäischen Gesellschaft für Lexikographie. Ohje, ist das schon lange her. Den Krug betrachtend, kommen mir die Gefühle wieder: irgendwas zwischen Stolz („Ich darf jetzt mit den Großen spielen.“) und Nervosität  („Bin ich denn schon ein Großer?“). Nun, dort habe ich meine Ideen zur lexikographischen Behandlung der der Komparationsmorphologie deutscher Adjektive vorgestellt – das endete dann mit einer 250 Seiten umfassenden Arbeit zu dem Thema (Auszug daraus hier).

Der Anblick des Kruges erinnert mich daran, dass ich einen Abend vor meinem Vortrag heftiges Fieber bekam (offensichtlich eine üble Variante von Lampenfieber) und weitere Symptome eines grippalen Infektes. Der Krug erzählt mir, dass ich mir in Zürich in einer Apotheke das Medikament „Gripostat C“, mir völlig unbekannt aber von einem eidgenössischen Apotheker freundlich empfohlen, gekauft habe. Meine schon damals sehr starken Bedenken gegen gegen Kombinationspräparate habe ich zurückgestellt und  die Nacht  dann wider erwarten sehr gut geschlafen. Ich bin frisch aufgewacht, habe einen schönen Vortrag gehalten. Der erfolgreiche Vortrag hat reichlich Endorphine freigemacht. Dieses tolle Gefühle wollte ich irgendwie teilen und beschlossen, irgendetwas schönes für meine Liebste zu besorgen. Ich schlendert also euphorisiert an Zürichsee und Limmat entlang und meine Blick viel in ein Schaufenster mit Keramik. Sofort war mir klar, ich bringen einen Krug mit nach Hause. Das dies der Anfang für eine Sammlung mehrerer Dutzend Krüge werden sollte, war da noch nicht klar.

Ich werde hier in loser Folge über die weiteren Krüge und deren Geschichte berichten.

 

Die 100 Dinge der 70er

20 Freitag Jan 2012

Posted by gmeder in Bücher, WebSites

≈ Ein Kommentar

Sie sind mir ja irgendwie immer fremd gewesen, diese „Kleinen“. Als ich 11 Jahre alt war, wurden die ersten von ihnen geboren.  Als ich mitten in der Pubertät war, haben sie mit ihren Fragen genervt, wollten immer irgendwie dabei sein. Standen am Bolzplatzrand herum, wollten umbedingt mitspielen. Sofern sie Brüderchen und Schwesterchen waren, haben sie uns die schönsten Nachmittage dadurch verdorben, dass wir auf sie aufpassen, sie „mitnehmen“ mussten. Berichte über Zigaretten- und Bierkonsum an die Eltern haben sie nur gegen Schutzgeldzahlungen aus der Taschengeldkasse unterlassen. Und hat man sich mal den Mädchen genähert, dann standen sie mit großen Augen und dummen Fragen daneben. Wie gesagt: Rätselhaft, fremd und irgendwie nervig.

Nun schicken Tobias Wimbauer und Mirko Kussin sich an, uns diese Generation der in den 1970ern Geborenen näher zu bringen. Im Projekt „100 Dinge“ versuchen die beiden uns die Sicht dieser Generation auf die Welt zu erklären.

Ich bin gespannt, was die beiden zu „Schallplatten“, „Notizbuch“, „Oropax“ etc. zu sagen haben. Vielleicht wird mir dann – im Nachhinein – einiges klarer und ich kann (vielleicht) auch die Musik dieser Generation verstehen.

Das Büchlein erscheint als Band 9 der Bibliotope im Eisenhutverlag. Auf der Website zum Projekt kann man sich Leseappetit holen.

 

Von Kampfkatholiken und Wortklaubern

23 Freitag Dez 2011

Posted by gmeder in Allgemein, Sprache

≈ Ein Kommentar

Ja, ein gemütliches Beisammensein in den vier Wochen vor Weihnachten ist – genau genommen – keine Weihnachtsfeier (sondern eine Adventsfeier) und der am sechsten Dezember besonders von Kinder verehrte Heilige Nikolaus von Myra war Bischof daselbst und trug eine Bischofsmitra und keine rote Zipfelmütze, wie der Weihnachtsmann.

Es sei hier angemerkt, dass es zu den modernen (christlichen, katholischen?) Mythen gehört, dass der Weihnachtsmann eine Erfindung der Marketingabteilung von Coca Cola sei. Diese Firma nutzt die Darstellung des Weihnachtsmannes erst seit 1931. Mindestens bis ins 19.Jh. reichen jedoch die Quellen, die einen Weihnachtsmann vornehmlich in überwiegend protestantischen Weltgegenden nachweisen. Die Katholiken haben mit dem Christkind gekontert, das interessanterweise in den süddeutschen Regionen oft weiblich ist.

Also ja, die vorweihnachtlichen Weihnachtsfeiern sind eigentlich Adventsfeiern und der Nikolaus hat eine Mitra getragen. Und nun auch noch das aus der katholischen Besserwisserei: Man wünsche sich nicht vor Weihnachten schon ein frohes Weihnachtsfest oder gar frohe Weihnachten, weil man dies frühestens am heiligen Abend (24.12), besser jedoch erst am ersten Weihnachtstag tue. So zumindest ist es nun auch in den „Sozialen Netzen“ lesen kann und heute ist mir erstmals jemand begegnet, der auf mir meinen freundlichen Wunsch für ein frohes Weihnachtsfest, statt mit einem ebensolchen Wunsch zu entgegnen, mich belehrte, dass es nicht korrekt sei, sich dies jetzt schon zu wünschen, weil ja noch nicht Weihnachten sei.

Da muss ich als Sprachwissenschaftler mal zu bedenken geben, dass sich Wünsche immer auf die Zukunft richten. Mit einem freundlichen: „Ich wünsche Dir frohe Weihnachten“ oder kurz: „Frohe Weihnachten“ ist so etwas gemeint wie: „möge das kommende Weihnachtsfest für dich ein fröhliches sein“! So markiert es der Kontext und der Sprechakt.

Damit da keine Missverständnisse entstehen: Ich bin Christ und fühle mich trotz allem in der katholischen Tradition. Aber: Liebe Glaubensbrüdern und -schwestern, liebe Kampfkatholiken! Glaubt ihr wirklich, dass wir nach diesen Jahren der Skandale um Missbrauch von Kindern, Rehabilitierung von Holokaustleugner, Integrationsversuchen von ewig Gestrigen u.v.a.m. keine anderen Sorgen, keine anderen Aufgaben haben, als unsere Mitmenschen mit derlei Besserwisserei zu malträtieren?
Wird die Welt um einen Deut besser, wenn wir unsere gemeinsamen Abende im Advent „Adventsfeiern“ nennen, unseren Schokoladenmänner eine Mitra statt einer Zipfelmütze aufsetzen und erst am Weihnachtstag „frohe Weihnachten“ wünschen?

Jetzt kommen ja ruhigere Tage. Zeit zur Besinnung, Einkehr und Umkehr. Nutzt Sie!

Ich wünsche allen einen besinnlichen heiligen Abend und frohe Weihnachten!

Wunschlisten, Wunschzettel, Rückdelegation und Weihnachten

27 Sonntag Nov 2011

Posted by gmeder in Lexik, Linguistik, Listen, Sprache

≈ 2 Kommentare

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Rechtzeitig zu Beginn der Adventszeit war am 22.11.2011 das Wort Weihnachtszeit wieder unter den Wörtern des Tages im Wortschatzportal der Universität Leipzig. Dies bedeutet, dass das Wort in der laufend beobachteten Häufigkeitsstatistik an diesem Tag häufiger war als an den anderen Tagen im Jahr. Heute, am ersten Advent, ist das Wort Weihnachtsgeschäft unter den Wörtern des Tages.
Gut, das ist erwartbar. Wenn ich mir aber die Wörter des Tages so durchschaue, dann vermisse – zur Weihnachtszeit – das Wort Wunschliste und Wunschzettel.

Die ersten von diesen Wunschzetteln und -listen sind mir nämlich schon begegnet, denn es ist wieder soweit: die Innenstädte und Einkaufszentren sind voll mit Menschen. Selbst an ganz normalen Tagen, mitten am Tag, zu Zeiten an denen man die Menschen an ihren Arbeitsplätzen vermutet, bevölkern sie die Einkaufszentren und die vielerorts bereits eröffneten Weihachtsmärkte. Es ist wieder Zeit, sich auf die Suche nach Geschenken zu machen. Und dies ist doch auch die hohe Zeit dieser ganz besonderen Listen, eben der Wunschlisten zu Weihnachten.

Was sind denn das eigentlich für Listen? Wer erstellt Sie? Aus welchem Geiste sind sie geboren? Wozu werden Sie erstellt?
Auf den ersten Blick scheint es ganz einfach zu sein: Jemand notiert auf einer Liste, was er oder sie sich zu einem bestimmten Anlass wünscht – und wartet welcher Wunsch sich wohl erfüllen wird. Soweit, so gut.

Bei genauerem Hinschauen scheint die Sache nicht ganz so einfach zu sein. Denke ich an die Menschen in den Einkaufszentren, so scheinen die Wunschlisten doch eher ToDo-Listen zu ähneln. Jenen Listen auf denen notiert wird, was zu erledigen ist. Eltern, Großeltern, Geschwister laufen durch die Kaufhäuser und Einkaufszentren in Erledigung der auf den Zetteln notierten Wünsche. Nicht etwa, dass die Wunschzettel gelesen werden als:

„Ich hab’ hier eine Liste von Wünschen, Dir zu helfen, mir etwas zu schenken – vielleicht schenkst Du mir etwas davon, vielleicht fällt Dir etwas anderes ein.“

Nein, zu finden sind hilflose Menschen in Spielwaren- und Elektronikabteilungen oder -fachgeschäften. Sie halten dem Personal den Liste hin mit der Bitte das entsprechende aus den Regalen zu suchen. Ich habe es erlebt:

Die Frau hält dem Verkäufer einen Zettel hin und fragt: Können Sie das lesen?
Verkäufer: Ja, das heißt XBox.
Frau: Wissen Sie was das ist?
Verkäufer: Ja. Haben wir auch.
Frau: OK. Und das andere? [auf dem Zettel]
Verkäufer: Ach, das ist das Zubehör.
Frau: OK, nehme ich auch.
Verkäufer: Nur den iPod, den bekommen Sie dahinten.
Frau: Gut, während Sie die Sachen holen, gehe ich da mal hin.

Ganz offensichtlich, hat die Frau eine ToDo-Liste abgearbeitet, die sie weder lesen konnte noch verstanden hat. Gut, dass es Fachpersonal gibt.

Wie konnte es dazu kommen?
Angefangen hat es mit den Wunschzetteln zu Weihnachten, so jedenfalls weiss es die Wikipedia  zu berichten, im 19. Jh., als die Kinder ihren Eltern, als den Mittelspersonen zum Christkind oder Weihnachtsmann eine Liste mit möglichen Wünschen aushändigten. Sie waren nicht für die Erfüllung, sondern nur für die Übermittlung der Wünsche zuständig. Nun scheint es eine Art Rückdelegation von seiten des Christkinds oder Weihnachtsmanns gegeben zu haben: Die Eltern sollen nun nicht nur die Wünsche übermitteln, sondern sie auch noch erfüllen. Da sie aber nun direkt mit den Wünschenden im Kontakt sind, auch nach der Wunscherfüllung und dann auch „first level support“ leisten müssen, scheint es ihnen wohl geraten, am besten alles zu erledigen was auf der Liste steht. Ob es nun sinnvoll ist oder nicht, ob sie es verstehen oder nicht. So geht man dem Ärger am Wunscherfüllungstag wohl am besten aus dem Wege.

Das ist natürlich auch den Wünschen nicht entgangen. Während der Wunschzettel sich früher (zumindest gefühlt) an höhere Autoritäten zu richten schien und entsprechend handschriftlich kunstvoll verziert wurde, ist es heute bereits möglich, die Wunschzettel virtuell zu führen, weiterzuleiten oder als link zu versenden. Neben Weihnachtsportalen, die entsprechende virtuelle Wunschzettel anbieten, bieten auch verschiedene Einkaufsportale (wie amazon, ebay etc.) Wunschlisten an, deren link sich leicht an die Wunscherfüllungsbeauftragten weiterleiten lassen.

Zum Schluss noch einmal eine sprachwissenschaftliche Betrachtung.
Die Suche im Wortschatzportal der Universität Leizig, immerhin mehrere Millionen Textwörter umfassende Korpora, und den Textsammlungen des DWDS (beide hatte ich bereit hier vorgestellt) zeigt, dass es sich bei den den Wunschlisten und Wunschzetteln tatsächlich nicht um Sammlungen von Wünschen handelt, die zu erfüllen man sich erhofft, sondern um Listen die es abzuarbeiten gilt.
Zunächst ist festzuhalten, dass das (was immer es ein mag) was auf den Wunschlisten zu finden ist, meist „ganz oben“ auf diesen Listen und Zetteln steht. Die häufigsten Wörter, die die Wörter Wunschliste und Wunschzettel begleiten sind nämlich oben, steht und ganz. Weitere Wörter, die Wunschliste und Wunschzettel begleiten sind

FC Bayern
AC Mailand
FC Köln
SV Waldhof
Real Madrid
Manchester United
bei Wunschzettel steht an dritter Häufigkeitsstelle immerhin Weihnachten, dann folgt aber: Transfer, van Nisterooy, Juventus, Verteidiger, Klinsmann, etc.

Wunschlisten und -zettel bei den Chefs der Fußballvereine Europas sind wohl eher Listen, die es abzuarbeiten gilt, um den Kader zu verstärken, bevor es die anderen tun.

Ja, in unserer säkularen, entzauberten Welt, spielen Weihnachtsmann und Christkind keine Rolle mehr – alle, selbst die Kleinsten, wissen inzwischen, dass die Wünsche auf ihren Zetteln nicht von höheren Mächten sondern von Freunden und Familienmitgliedern erfüllt werden. Dennoch wären Wunschlisten, die zusammenstellen, was wir uns wünschen, damit andere uns eine Freude machen können, wenn Sie wollen und unsere Liste kennen, schon hilfreich.

Ich für meinen Teil verweise dann gerne auf Bücherlisten und lasse mich überraschen, eine solche Liste für mich die Empfehlungen in Schmitzkatze oder Antiquariatskataloge (auch online). Die fleissigen Probeleser bei Schmitzkatze und die Sammelleidenschaft der Antiquarii ersparen mir die aufwändige Zusammenstellung. Nur die Krimis bräuchten nicht auf der Liste zu stehen.

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