Seit diesem Jahr habe ich eine kleine Literaturkolumne in unserer lokalen Wochenzeitung. Jeweils in der letzten Ausgabe des Monats der Werdener Nachrichten erscheint eine Besprechung eines oder mehrerer Titel zu einem Thema. Für diejenigen die diese Zeitung nicht beziehen aber trotzdem wissen wollen, was ich da so bespreche, gibt es die Artikel mit etwas zeitlichem Versatz nun auch hier.
„Heute soll jeder anders sein als sonst.“ sagt die kleine Hexe in Otfried Preusslers gleichnamiger Kindergeschichte, als sie dem Raben Abraxas ihre Idee vom „Fasching im Walde“ erklärt. Damit ist in einem Satz zusammengefasst, worum es bei Karneval geht: jemand anderes sein als man ist.
[dropcap]D[/dropcap]as Thema des Täuschens und Vortäuschens, des Betrugs und Selbstbetrugs nimmt Carl Zuckmayer in seiner, jenseits seiner zeitlichen Positionierung, heute noch sehr aktuellen Erzählung „Die Fastnachtsbeichte“ auf. Während die kleine Hexe nach der Fastnachtsfeier im Wald alle Tiere wieder in ihren ursprünglichen Zustand zurückverwandelt und damit alles wieder ist wie es vorher war, ist in der Erzählung des Autors des weltberühmten „Hauptmann von Köpenick“ und des „Teufels General“ nach der Demaskierung auf dem letzten Ball der Mainzer Fastnacht nichts wie vorher. Täuschung und Selbsttäuschung in der Geschichte einer Familie am Vorabend des ersten Weltkriegs werden verwoben mit der ausführlichen Beschreibung des Masken- und Narrenwesens der Mainzer Fastnacht. Ein Mord während einer Beichte im Mainzer Dom ist der Ausgangspunkt und das Eingeständnis in der Fastnachtsbeichte am Aschermittwoch, sich den Tod gewünscht, aber nicht ausgeführt zu haben, ist der Schlusspunkt einer nur vordergründig als Kriminalgeschichte daherkommenden Erzählung von Schulderfahrung, Umkehr und Versöhnung. Die Beichte am Aschermittwoch ist eine Tradition des rheinischen Karnevals. „Sie sollte wohl solchen, die es an diesen Tagen zu arg getrieben hatten, die Gelegenheit zur sofortigen Erleichterung geben“, beschreibt der Erzähler diese sehr menschenfreundliche Einrichtung. Verwicklung in Schuld, Täuschung, verborgene Vaterschaft, Diebstahl und Eifersucht führen zum Tod eines Menschen. Verwoben mit den Aktivitäten der Mainzer Fastnacht ist die Kriminalhandlung eine Parabel auf die Abgründigkeit und Verstrickung menschlichen Seins. Die Beschreibungen der Narrentypen und des Fastnachtstreibens begleiten die eigentliche Handlung und bereiten die Wendungen der Geschichte vor. Sie bilden die Allegorie auf die einer Kriminalhandlung eigenen Täuschungen und Selbsttäuschungen.
[dropcap]K[/dropcap]arneval scheint gut mit Kriminalhandlungen zusammenzugehen: Rebecca Michele verortet ihre Kriminalgeschichte in der schwäbisch-alemannischen Fastnacht der Rottweiler Narrenzunft in der sich an den wichtigen Tagen der Fastnacht (dem Beginn am 6. Januar, am „Schmotzigen Donnerstag“ und am Rosenmontag) jeweils ein Mord ereignet. Auch der ermittelnde Lehrer Hummel des Autorenduos Ummendorf/Rieckhoff muss mit dem Lokaljournalisten Riesle tief in die ungeliebte schwäbisch-alemannische Fastnacht eintauchen um den Fall zu lösen. Peter Jakob lässt seinen Ermittler Bekker die totgeglaubte Besitzerin einer abgeschlagenen Hand in der Mainzer Fastnacht suchen und sieht so seine geliebte Fastnacht in einem neuen Licht. Und der sächsische Ermittler von Bernd Schumacher muss bei seiner Ankunft in einem kleinen Voreifelstädtchen erstmal seinen Kulturschock überwinden bevor er in der Karnevalszeit der 1950er Jahre einen Mord aufklären kann. Sogar die Reflexion der wohlstandsbessenen deutschen Nachkriegsgesellschaft in Eva Demskis „Karneval“ beginnt mit einem Schuss auf dem sessionschließenden Ball der auf ihren guten Ruf bedachten Karnevalsgesellschaft mit ihrem Klüngel zwischen Frohsinn und Geschäften.
[dropcap]N[/dropcap]ur den scherzhaften Tiefdenkern und tiefsinnigen Scherzdenkern unter den Autoren des „Raben“, dem Magazin für jede Art von Literatur, waren die närrischen Tage noch keine Ausgabe wert. Zuckmayers „Fastnachtsbeichte“ erkennt dagegen meisterhaft die topologische Ähnlichkeit des Ver- und Entlarvens, Ver- und Entpuppens sowie des Tarnen und Enttarnes von Karneval und und Kriminalhandlung. So spannend die Handlungen der Krimonalromane auch sind, sie bleiben Krimis, die das Verbrechen und deren Auflösung in den Mittelpunkt stellen. Bei Zuckmayer ist die Kriminalhandlung eine Parabel für die Verstrickung in Schuld und Vergebung. Was die Verwebung von Handlung und Fastnacht betrifft ist die Erzählung von Zuckmayer das Paradigma nach dem die genannten Fastnachtskrimis dekliniert werden. Doch sie bleiben Krimis – und hier steht das Verbrechen und seine Aufklärung im Vordergrund. Auch allen, die eine Alternative zur eher klamaukigen und alljährlich wiederholten Tatortfolge „Der Mörder und der Prinz“ oder der Rosenmontagsfolge von „Ein Herz und eine Seele“ suchen, sei Zuckmayers moderner Klassiker empfohlen.
Carl Zuckmayer: Die Fasnachtsbeichte. ISBN 978-3-596-1010-6
Rebecca Michele: Entlarvt. ISBN 978-3-84251280-1
Stefan Ummenhofer / Alexander Rieckhof: Narrentreiben. ISBN 3-9809278-3-0
Peter Jacob: Narrenmord. ISBN 978-3-937782-87-4
Bern Schumacher: Februarblut. ISBN 978-3-940077-07-3
Eva Demski: Karneval. ISBN 3-446-13-444-1